WendeBlätter 2020, Ausgabe 32

Universal soldier. Soldat in grauer Norm

Man holt ihn, ob er will oder nicht, man zieht ihn aus bei der Musterung, dann zieht man ihn ein. Heraus aus dem Leben, zum Dienst beim Militär. Er ist jung, ein Ungar aus Fleisch und Blut. Seiner Liebsten singt er ein Abschiedslied:

„Tränen in Deinem Auge, du zürnst, dass ich weggehen muss. Aber es ist nicht meine Schuld, dass Du auf mich warten musst. Warte, warte. Du kannst noch ein bisschen weinen, jetzt ist’s genug. Sei freundlich und lache, so möchte ich an Dich denken. Ich komme zurück zu Dir …“*

* Frei übersetzt nach einem Lied von Máté Péter (1947 – 1984), einem ungarischen Pianisten, Komponisten und Sänger. 

Zwei Jahre oder mehr? Verlorene Zeit unter rüdem Befehl, der die Seele brechen will. Doch sie hält stand. Auch dem herben Geruch am Besuchstag, wo die Traurigkeit verlorener Jahre zäh an den Wänden der Halle klebt. Da ein Lichtstrahl in der Tür: die Geliebte. 

Wenn es auch sinnlos war, das leere Dasein in der Kaserne, dieses unter Befehlen und Maßnahmen die Zeit – wenigstens nur sie – Totschlagen. Wie wird man es rechtfertigen einst, wenn die Masken fallen?

Man wird sagen: der Sinn lag einzig darin, dass es befohlen war … 25. Okt. 2021 

Und alles an einem Tage: 24. Oktober Zweitausendeinundzwanzig

Bei der Fahrt durch Tschechien, den Schluckenauer Zipfel, stelle ich nun doch, kurz nach dem Urlaub (eine Woche mit der Familie im Hohenloher Gebiet, zur Weinernte)  das Radio einmal an, dem ich ansonsten kaum Gehör schenke. Mal sehn, was man so redet. Konferenz in Berlin, da wird über Weltgesundheit beraten. Ja, die Welt ist krank, bedarf der Gesundung. Und die wird mit Maßnahmen allein nicht zu erreichen sein. Und schon gar nicht mit Maßnahmen pseudomedizinischer Art. Die Krankheit sitzt tief in der Seele des Menschen.

Der Gesundheitsminister hat heute die baldige Aufhebung der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ in Aussicht gestellt. Will er sich beim Volk beliebt machen, meint er es ehrlich? Gegenstimmen treten auf, wie in einem Theaterstück, sie klagen: was soll werden? Wir haben dann keine gesetzliche Grundlage für unsere Maßnahmen, keine Handhabe mehr! Alles riecht nach einer Scheindiskussion, deren Ausgang von vornherein feststeht. Ja, man müßte zwischendurch ab und zu Maß nehmen – am gesunden Menschenverstand. Sofern es den überhaupt noch gibt, er nicht völlig überdeckt ist von der Medienmaschine, die unser Bewusstsein prägt, unsere Bewusstlosigkeit. Schlaftherapie ohne Aussicht auf Gesundung …

Letzter Tag der Frankfurter Buchmesse. Tsitsi Dangarembga, eine Autorin und Filmemacherin aus Simbabwe, erhält in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Eine nahe Freundin, Auma Obama, Halbschwester von Barack Obama, spricht die Laudatio. Während der  Rede des Frankfurter Ober-bürgermeisters Feldmann tritt „ungeplant“ die Grünen-Politikerin Mirrianne Mahn auf (er macht ihr Platz) und beklagt die Anwesenheit rechtsradikaler Verlage bei der Buchmesse, die ihrer Meinung nach nicht unter Meinungsfreiheit fallen. Der Deutschlandfunk gibt diese Nachricht weiter, streut sie unters Volk.

Es ist die alte Masche: wenn es brenzlig wird und Sichtweisen auftauchen, die nicht der eigenen Meinung entsprechen, ist man schnell zur Hand mit dem Etikett rechts oder rechts-radikal. Und dafür gilt dann natürlich keine Meinungsfreiheit, die nimmt man nur für sich selbst in Anspruch. Was ist eigentlich mit den linksradikalen Verlagen, die ketzerisch-blasphemisch auftreten, mit offener Gotteslästerung, und damit dem Glauben, dem Gottvertrauen vieler Menschen ins Gesicht schlagen? Wer als Christ in der DDR aufgewachsen ist, kann das ertragen. Von Toleranz wollen wir hier nicht reden. Es sind  beklagenswerte Geschöpfe, die Toleranz, Duldsamkeit immer nur für sich selber wollen und für Andersdenkende nichts als Schlagworte übrig haben.

25. Okt. 2021

Aus alter Zeit: Der pietistische Code

                                     „… die Sehnsucht nach Afrika zu dem nie gesehenen, aber dennoch          

                                     geliebten Bräutigam …“ (Tagebuchnotiz von 1867)

Die Mutter unseres Hohenlohischen Gastgebers, Oma H., die in großer Hingabe für uns kocht, stammt aus einer weit gefächerten Familie, deren Stammbaum in diversen Veröffentlichungen festgehalten ist. Unter den Vorfahren waren Bauern, Richter, Kaufleute, Pfarrer und auch Missionare der Basler Mission. Oft sah die Braut, vermittelt von der Kirchenleitung, ihren Bräutigam im fremden Hafen des Missions-landes zum ersten Mal. Man kannte sich nur aus Briefen. Wenn die Kinder das schulfähige Alter hatten, kamen sie nach Deutschland ins Internat (das war auch bei den Herrnhutern so). Die Verbindung zu den Kindern konnte nur brieflich gehalten werden, und Briefe waren wochen- oder gar monatelang unterwegs. Kein leichtes Los.

Zur Ehe der Missionare lese ich in einem Buch über die Basler Mission:

„Die Vereinigung des Paares, die durch die Hochzeit besiegelt wird, hat [nach christlich-pietistischem Verständnis] ihren Ursprung weniger in der Liebe zwischen Frau und Mann, als viel mehr in der Liebe Gottes zu Frau und Mann.“ – Gott ist so „der Dritte im Bunde“.* Das war der pietistische Code: die Gottesliebe (als Liebe zu Gott und von ihm her) an vorderster Stelle.

* Dagmar Konrad: Missionsbräute. Pietistinnen des 19. Jahrhunderts in der Basler Mission, Münster: Waxmann, 2013, 4., bearb. Aufl., S. 183.

Das alles mutet uns heute fremd an, wir schütteln mit dem Kopf. Aber was haben wir dagegen zu setzen? Gewiss, auch bei den Missionaren ging die Rechnung mit dem Dritten im Bunde nicht immer auf, im Ganzen jedoch war solch eine vermittelte Ehe des 19. Jahrhunderts weit stabiler als die einsame Zweisamkeit unserer Tage.   

Welchen Bestand hat die Ehe heute, wo sie – zumindest im westlichen Raum – aus freiem Willen der Liebe geschlossen wurde? Die Scheidungsrate von evangelischen Pfarrern und Pastoren in Deutschland entspricht dem Bundesdurchschnitt: 40 %, andere Quellen sprechen von 50 %.

Welcher Code hat sich nun bewährt? Der pietistische, den wir belächeln, oder der Code des radikalen Individualismus, der Freiheit um jeden Preis?

25. Okt. 2021

Finger weg

Russisch „ne trogat“ – nicht anfassen, Finger weg! In Altendorf / Sächsische Schweiz steht ein Flugzeug traurig im Garten, der Traum vom Fliegen erstarrt. Dieses Flugzeug wird sich hier zwischen den Häusern nicht mehr erheben. Aus der Traum. Ne trogat, nicht berühren! – das ist geblieben.

Nicht weit davon ein anderes Denkmal, Erinnerung an  die  Gefallenen des Ersten Welt-krieges: fünfmal der Name Richter, und des Zweiten Krieges: zweimal derselbe Name. Wer blieb da noch übrig von der Familie?

Ne trogat! Finger weg … Das rührt an Geschichte, an Menschheitsträume vom Frieden. Im Erwachen streiten wir über die Interpretation des Gewesenen und können uns nicht einigen …

Die Unauslotbarkeit des Bösen

Elisabeth Haysom, 1964 in Rhodesien geboren und ihr Freund Jens Söring, geboren 1966 in Bangkok – beide hochintelligent – wurden angeklagt des Doppelmordes an Elisabeths Eltern. Bei den Verhören windet sich Elisabeth mit Raffinesse heraus, erfindet immer neue Versionen der Geschichte, lastet den Doppelmord ihrem vormaligen Freunde an. 1987 wird Jens Söring des Doppelmordes für schuldig befunden und zu zweimal lebenslänglich verurteilt, Elisabeth wegen mentaler Beihilfe zum Mord zu insgesamt 90 Jahren.*

Jens Söring, nur knapp der Todesstrafe entgangen, beteuert seine Unschuld, wird zum Schriftsteller, kämpft jahrzehntelang um seine Freilassung. Beide werden 2019, nach 33 Jahren Haft, auf Bewährung  entlassen. Sympathie will ich es nicht nennen, wenn ich dazu neige, Jens Söring zu glauben. Aber ich bin mir nicht sicher …

Was bleibt, ist die Unauslotbarkeit des Bösen. Ein Abgrund. Die volle Wahrheit wird man nie erfahren.

* Vgl. Ken Englade: Wo alles Mitleid endet. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe, 1992. Der engl. Originaltitel: Beyond reason (Jenseits der Vernunft) ist treffender. Vgl. auch die Beiträge zu Elisabeth Haysom und Jens Söring im Netz.

07. / 25. Okt. 2021

Denkgebäude Gewissheit

Unser Leben ist von Gewissheiten bestimmt, von festgefügten Meinungen und Überzeugungsstrukturen, die einander oft unversöhnlich gegenüber stehen. Da kommt man nicht heraus, kaum eine Chance. Ob es die Gesundheitsauffassung ist, die Geschichtsbetrachtung, das Bild vom Menschen oder die Gottesfrage – in der Regel wird der Mensch, so ist er beschaffen, mehr oder weniger stur bei der eigenen Sichtweise bleiben.

Nur ein langer Prozess des Denkens oder ein jäher, schwerer Fall in die Tiefen der menschlichen Existenz, eine schmerzliche Erfahrung, kann hier Veränderung bringen. Und selbst dann beharrt der Mensch bei dem, was er zu denken gewohnt ist. Da wird das gesamte Waffenarsenal der Selbstrechtfertigung aufgefahren, um nur ja nichts ändern zu müssen. Denn das eigene Denkgebäude zu verlassen macht heimatlos, nötigt dazu, sich anderswo – an fremdem Ort – eine neue Wohnung einzurichten. Wer wird gar im Herbst des Lebens den Ort aufgeben, wo er zu Hause ist, oder als Narr „vor Winters“ (wie Nietzsche schreibt) in die Welt entfliehen?  „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr …“

Und dennoch: Mut zur Nachbarschaft! Den Nachbarn besuchen in seinem Haus, seinem Denkgebäude, und ihn einladen in die eigene Wohnung! – Das könnte ein Anfang sein …*

* Die Besuchskultur in Deutschland, die Kommunikation insgesamt: wie wir in unserer Gesellschaft miteinander reden (im sozialen „Diskurs“) und ob überhaupt, ist ein eigenes Thema. Die Großmedien mit ihrer Propaganda: der penetranten Bildüberflutung, Beschallung und Gängelung der Massen-seele weisen uns da keinen guten Weg.

07. / 26. Okt. 2021

Gegen das Atemberaubende

Anfang der 80er Jahre. In sozialistischer Zeit. Ein Dresdner Schriftsteller bekommt Besuch von einem Kollegen, der den kürzlich veröffentlichten Roman des Ersteren über den grünen Klee lobt, ihn „atemberaubend“ nennt. Der Gelobte schreibt ihm nach dem Gespräch beiläufig eine Widmung in das Buch: „Gegen das Atemberaubende …“  Nach einiger Zeit bekommt er sein Buch zurück, mit wüsten Anstreichungen und bösen Anmerkungen. Es ist ein Totalverriss. Der Kollege Schriftsteller – Künstler sind empfindlich – hat die Widmung als persönliche Beleidigung aufgefasst.

Keiner von beiden konnte ahnen, welche Bedeutung das Atemberaubende knapp 40 Jahre später haben würde … Damals wie heute steht das Atemberaubende für maskierte Texte, in denen Worte, aus welchen Gründen auch immer, ihr Antlitz verbergen (müssen).

11. / 26. Okt. 2021 

Mitläufer

Kinder mit schweren Atemwegserkrankungen, Schwangere, die nach einer Impfung ihr Baby verlieren, Impfungen mit Todesfolge – dafür wird man die Verantwortlichen einst zur Rechenschaft ziehen.

Entgegnet einer: Aber man wird wie immer nur die kleinen Täter bestrafen, die großen bleiben ungeschoren.

Ja, ich denke, das hat seinen guten Grund. Die Bestrafung der kleinen Täter soll uns warnen vor jeglichem Mitläufertum. Denn die Mitläufer, nicht die Großen Herren sind es, die ein System stabilisieren.

26. Okt. 2021

Begriffsverwirrung

Im Bummelzug nach G. sind alle maskiert, nur mein Sohn und ich sind es nicht. Die Schaffnerin lässt uns in Ruhe. Stille Solidarität … Ich muss ab und zu durch den Gang, um nach den Fahrrädern zu sehen, die da dicht gedrängt stehen, vielleicht will ja jemand aussteigen. Im Vorübergehen höre ich die verächtliche Äußerung eines älteren, mit seinem Handy spielenden Mannes, er schaut mich böse an: „Diese Corona-leugner …“ Ich bleibe freundlich, steige nicht darauf ein, bin aber froh, als er aussteigt. Denn Leute von seinem Schlage schwärzen gern andere an, im festen Glauben, das Richtige zu tun. 

„Coronaleugner“ – ein missverständlicher Begriff, bewusst eingesetzt von der Propaganda. Und wie man sieht: die Propaganda greift. Das Schlagwort trifft mich nicht. Ob Laborunfall oder absichtlich ausgesetzt, ja, das Virus existiert. Was ich bezweifle ist die Angemessenheit des Pandemiebegriffs und die Sinnhaftigkeit, das Gesundheitsfördernde der damit verbundenen Maßnahmen (Maske, Test und Nadel).

Auch der gegensätzliche Begriff: „Coronagläubige“ trifft den Sachverhalt nicht, es müßte Pandemie- oder Maßnahmengläubige heißen. Einfacher ist es bei dem Schlagwort Verschwörungstheoretiker. Der Gegensatzbegriff wäre Verschwörungs-leugner, das ist einer, der gegen alle Realität geheime Absprachen und gezielte Ver-schwörungen, Machtgeklüngel in der Geschichte nicht wahrhaben will.*

* Die Maske über den Augen …  Hier noch einmal der Hinweis auf Tim Foyle / Bastian Bruckner: Die Psychologie der Verschwörungsleugner. – In: SEIN, Nr. 312 / 313, Aug. / Sept. 2021, S. 14 – 16. 18 – 19.

Falls der Pandemieglaube, das ganze Masken-, Abstands- und Impfgehabe  sich eines Tages – ich spreche hypothetisch – als nichtig, völlig sinnlos erweisen sollte (als bloße Geschäftsidee womöglich), bliebe den Beharrlichen doch diese letzte Bastion: „Wir konnten nicht anders. Da waren verordnete Maßnahmen, da war doch ein Befehl.“

Maßnahmen-Gläubige, die über den Zerfall eines Systems hinaus ihre Gewissheit (und  Hörigkeit) bewahren, hat es zu allen Zeiten gegeben.

10. / 26. Okt. 2021

Theokratie

Diktatur – für mich, der ich in der DDR aufgewachsen bin, ist das nichts Neues. Im Westen gab es ja so etwas nicht nach dem Kriege, oder man hat nicht gemerkt, dass man es hatte. Auch die Achtundsechziger sind letztlich beim Establishment gelandet. Irgendwann hat die etablierte Linke ihr Ideal verraten und sich dem Kapitalismus verbündet.  

Ich habe nie an Demokratie geglaubt. Als Hoffnung gegen alles Machtgehabe mag man sie bewahren. Aber die einzig wirklich gerechte Gesellschaftsform scheint mir die Theokratie zu sein, wie sie in Offenbarung 21 geschildert ist. Und die gibt es erst im Jenseits. Wer nicht an Gott und ein Jenseits, an das Ewige Leben  glaubt, der hat sie nie.

Auftritte …

„Dein Auftritt vom letzten Jahr …“  (ich hatte mich beim Abschied zu Corona geäußert) – so etwas möchte er nicht wieder haben, sagt vinitor, der Weinbauer, ein guter Freund (nennen wir ihn Winni) bei der Begrüßung ein Jahr später. „So kannte ich Dich ja noch gar nicht …“ – Ich bin jetzt 68, schon in der DDR wollte man mir das Wort verbieten. Und jetzt wieder? Nein, so meint er es nicht.

Erinnerung an den Großvater Ernst Z., der während des Ersten Krieges 1914 – 18 im Lazarett offen gesagt hat, was er dachte. Ein schwer Verwundeter wird gebracht, der in Schmerzen stöhnt und wimmert. „Nun sei doch mal ruhig, die anderen wollen auch schlafen“, fährt man ihn an. Am nächsten morgen ist neben Ernst das Bett leer. Ernst fragt nach dem Verwundeten.

„Na, hast Du das nicht gemerkt?! Der ist doch gestorben …“ – Darauf Ernst: „Wie man in einem deutschen Lazarett stirbt, das habe ich erlebt. Ich möchte mal wissen, wie es dann beim Feinde ist.“ – Irgend jemand hat ihn daraufhin verpfiffen. Bald hieß es: „Der geht morgen wieder an die Front!“

17. / 26. Okt. 2021

Training des aufrechten Gangs

Im Hochmut der Kritik schrieb ich einst, vor drei Jahrzehnten, an Volker Braun zu einem seiner Texte: „So kann man das nicht machen …“. Eine Karte kam zurück, der Wortlaut (sinngemäß): „Schreiben Sie, machen Sie’s besser.“ Oder, um es mit den Beatles zu sagen: „Take a bad song and make it better …“

Morgentraining im Hohenloher Land: Ohne Maske hinein in die Apotheke in B., Hustenbonbons zu beschaffen. Man traut sich ja kaum noch zu husten in dieser Zeit … Krügerol gibt es hier so weit im Westen nicht, das muss man erst bestellen. Ihre Maske? (die Apothekerin ist freundlich). Ich habe so etwas nicht … Und für den Notfall – ein Attest.

Danach Rückenschule im Weinberg: Warum bückst Du Dich immer wieder?Zwei mögliche Antworten: ich suche Regenwürmer, die sind gut für die Verdauung. Oder: ich trainiere den aufrechten Gangs, da muss man sich ab und zu auch bücken, die Glieder strecken zur Stärkung der Rückenmuskulatur. Winni steckt vertraulich den Kopf durch das Weinlaub: „Es kann ja jeder seine Meinung haben.“ – Ich setze dagegen: „Es geht nicht um Meinungen, sondern um harte Tatsachen. Um den latenten Faschismus, der jetzt im Anrücken ist.“ Viel zu harte, zu deutliche Worte für den jungen, heiteren Tag …

Man verstehe mich nicht falsch. Es ist schön, im Weinberg zu arbeiten, von den Trauben zu kosten, bunt ist der Herbst, die Hohenloher Landschaft ist uns vertraut, vor zehn Jahren sind wir, unterwegs in den Elsass, vor Heilbronn spontan von der Autobahn abgebogen, auf der Suche nach einem Wiesen-Nachtlager. Und irgendwo war der Weg zu Ende, fing etwas Neues an. Man nahm uns freundlich auf, lud uns ein zur Wein- und Apfelernte, und bald auch ins Haus. Seitdem sind wir jedes Jahr wiedergekommen. Doch in die Schönheit des Weinbergs und der Hohenloher Landschaft mischt sich ein Wermutstropfen: Gedanken, die sich nicht vertreiben lassen.     

Die Studentin der Medizin redet von ihrem Studium. Immer wieder höre ich das Wort „online“. Kann ja sein, solange wir mit dem eigenen Denken auch online bleiben und nicht ins Off gehen … Beim Kaffeetrinken am Weinberg, der hier Wingert heißt, bekennt die Studentin, (ich nenne sie Ready, weil sie zu Beginn des Schaffens „I’m ready“ gesagt hat), sie sei bereits das zweite Mal geimpft. Ein paar Schritte weiter erzählt mir eine Krankenschwester von zwei Todesopfern nach der Impfung, Menschen aus ihrer unmittelbaren Bekanntschaft.

26. / 27. Okt. 2021

Schlitzohr in Öhringen

Öhringen: zur Römerzeit Standort eines Doppelkastells am Limes. In die mittel-alterliche Stadtmauer haben sich Häuser eingenistet, sich ihr angelehnt, mit ihr verbunden in schöner Symbiose.

Vom Schaukasten der Stadtbibliothek lerne ich das umständliche „Coronazeit-Bücherei-ABC“ mit dem obersten Gebot: „Besuch nur mit 3G-Nachweis.“ Getestet (auf gesunden Menschenverstand), Geimpft (mit einem Bienenstich), Gesundet (an der Seele), das sind die 3 G, auf die ich meine Hoffnung setze.–  „Noch kein RFID-Zeichen auf dem Besucherausweis? Jetzt kostenlos an der Service-Theke umtauschen!“ – Dazu  dieses Angebot, das alles zusammenfasst: „Mitmachgeschichten für Kinder ab neun Jahren.“ Und für Erwachsene auch … Ja, das alles ist eine große Mitmachgeschichte, hier liegt das Verhängnis.

Am Rathaus, dem früheren Residenzschloß des Hohenloher Geschlechts (1611 – 1616 erbaut, 1961 an die Stadt verkauft), ein Spruchband der Propaganda: „Jetzt impfen lassen!“ – Da spricht mich ein Herr, der aus dem Rathaus kommt, unvermittelt an: „Wir haben doch ein Informationsblatt, da steht alles drin zum Schloss. Ich werde es Ihnen bringen.“ Die Begegnung mit dem freundlichen Stadtarchivar T. ist erquickend, sie versöhnt mich mit allem. Als ich erzähle, woher ich komme, ist er begeistert, er stammt – aus der Oberlausitz, kennt den Dialekt. Ein dritter Mann aus Sachsen kommt hinzu. Die Einladung zum Bier musste ich leider ausschlagen, da war noch eine Aufgabe an diesem Tage, die klaren Kopf erforderte.

Zwei Tage später, das Rathaus hat leider schon geschlossen, bin ich wieder in Öhringen, nun mit Familie. Wir besuchen das Chorherrenstift, gehen vom Markt her durch den Kreuzgang in die gotische Kirche. Da ist eine Gruppe Jugendlicher, vermutlich Konfirmanden, die von einem maskierten Mann (dem Pfarrer?) durch die Kirche geführt werden. Im Altarraum ein maskiertes Vaterunser, ein Gebet immerhin. Wir gehen mit in die Krypta, zwei meiner Kinder – die ältesten – nehmen den Augenblick wahr und entwischen auf den Turm. Die Tür war offen …

Eine gewisse Findigkeit, Schlitzohrigkeit, auch Humor braucht es in dieser Zeit. 

18. / 27. Okt. 2021

Vom gesunden Menschenverstand

„Ich bin nicht so studiert wie Du, habe keinen Doktortitel“, sagt mir der liebe Winni. „Aber etwas habe ich mir bewahrt: den gesunden Menschenverstand.“ –  Da kann es aber mit dem gesunden Menschenverstand auch nicht weit her sein, entgegne ich im Stillen, wenn Du Dich der Impfung unterzogen hast, von der Du nicht weißt, was sie mit einem macht.

Dabei fällt mir auf: das Argument vom gesunden Verstande habe ich früher auch benutzt, das gebrauchen ja beide Seiten, und beide – zirkulär – mit dem Zielpunkt Gesundheit. Das Argument taugt nichts, man sollte es fallenlassen.

Wo gibt es überhaupt noch „gesunden Menschenverstand“, der von medialer Beein-flussung, von Propaganda unberührt wäre?

19. / 28. Okt. 2021

Verrenn Dich nicht!

Beim Abschied gibt mir der Weinbauer – er hat sich in seiner Geduld und seiner Besorgnis als ein wahrer Freund erwiesen – außer den Äpfeln, den Kartoffeln, dem Wein noch einen Rat mit auf den Weg: „Verrenn Dich nicht! Aus Demonstrationen allein wächst noch kein Brot.“

Ein denkenswertes Wort für alle, die bei Demonstrationen ihre Haut zu Markte tragen. Man kann demonstrieren, das heißt: öffentlich kenntlich machen, darauf hinweisen (von Lat. demonstrare), wie man denkt, sollte es sogar, auch ich beteilige mich daran. Aber diese Demonstration muß auch im täglichen Leben stattfinden, sich im Alltag bewähren. Allein von der Straße kommt keine Lösung. Die Macht zerschlägt solche Demonstration, oder ignoriert sie einfach.

Auch in Gedanken und Haltungen kann man sich verrennen. Festina lente – Eile mit Weile. Wähle gut, wofür Du Dich einsetzt. Wo, auf welche Weise, und mit welchen Mitteln.

24. / 28. Okt. 2021

Tomaten und die Gottebenbildlichkeit des Menschen. Eine Stimme aus der orthodoxen Kirche*

                               * Aus dem Wort des Abtes des Solowjetzker Klosters Bischof Porfyrij zur           

                                  erzwungenen Impfung (18. Juli 2021).

“Worauf sollte jeder, der nun genötigt ist, eine Entscheidung [pro oder contra Impfung] zu treffen, achten? – Eine offizielle Information: der Impfstoff ist ein gentechnisch verändertes, hochtechnisiertes Produkt. Es enthält Zellen, es enthält Proteine der Boten-RNA – mRNA. Diese Agenten integrieren sich in das menschliche Genom, verändern es, modifizieren es, bearbeiten es. Ein Christ, der für sein Heil Verantwortung trägt, sollt schon an dieser Stelle aufmerken.

Wir alle wissen sehr gut, was ein gentechnisch verändertes Produkt ist. Handelt es sich beispielsweise um eine Tomate, hat sie nur äußerlich Ähnlichkeit mit der Frucht, die wir in unseren Gärten anbauen. Und was ist ein gentechnisch veränderter Mensch, oder wenn man so will, ein Mensch mit einem gentechnisch veränderten Genom? Inwiefern bleibt das Bild Gottes in ihm unversehrt? Und wer kann garantieren, dass dieser Eingriff, dieses störende Einmischung, unsere Gottesebenbildlichkeit nicht unumkehrbar schädigt?

Auch ist es erwiesen und offiziell bekant, dass im Impfstoff Metall-Nanopartikel enthalten sind, diese Partikel eine Reihe von Eigenschaften des Paramagnetismus aufweisen und es eine Technologie gibt, um das menschliche Nervensystem durch sie zu beinflussen. Es sind dies offene Patente, absolut zuverlässige Informationen. Und sie alle sind in den digitalen Regelkreis integriert. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Bleibt der Mensch, der diese Einmischung erlaubt hat, wirklich eine eigenständige, freie Person? Oder hat sich das Kontrollzentrum unseres Verhaltens irgendwo nach draußen verlagert?” 

28. Okt. 2021

Schalom unter der Laterne …

Auf dem Marktplatz in Öhringen trifft sich am Abend ein kleiner Kreis von Gleichgesinnten. Weiter draußen demonstrieren zur gleichen Zeit die Querdenker. Wenn man doch zusammenhielte … Es ist schon dunkel. Unter der Laterne lese ich einige kurze Passagen aus den WendeBlättern 2020 und singe a capella das Lied von den Sächsischen Fanfaren.* Versuch eines Brückenschlags Sachsen – Öhringen. Die Zuhörer sind geduldig, bekunden ihre Zustimmung. Ich hätte länger bleiben müssen, meinerseits mehr davon zu hören, wie es den Öhringern geht in dieser Zeit …              

* Vgl. WB 2020, Ausg. 10 v. 10. Juli 20220, S. 11.  

In den letzten Minuten kommt eine Frau hinzu. Ich spreche den Aaronitischen Segen und schließe mit Schalom. Sie fragt nach dem Wort Schalom. Was ist das? – Mehr als unser Begriff vom Frieden, Schalom umfasst alles: das Wohlergehen, die Gerechtigkeit, die Wahrheit, den Seelenfrieden, alles, was wir zum Leben brauchen. – Das ist mir zu allgemein, sagt sie, und setzt hinzu: Ich bin gegen alles Jüdisch-Christliche. Was soll man da machen? Das begegnet mir hin und wieder bei Versammlungen,  Gott sei Dank nicht allzu oft, dass jemand meint, ich gehe am Thema vorbei, wenn ich vom Glauben, vom Gottvertrauen rede, dem Fundament und Kraftquell meines Lebens.

Es ist doch merkwürdig: auf der einen Seite erwartet man von Kirche, der Gemein-schaft der Gläubigen (Griech synagoge, Lat. ecclesia), dass sie handelt, sich äußert in dieser Situation 2020 / 21. Auf der anderen Seite – ich bin ja auch Kirche, ein Protestant – will man das lebendige Wort der Bibel, in dessen Verkündigung der zentrale Auftrag von Kirche liegt, nicht hören.

18. / 28. Okt. 2021

Sophie Scholl

In der Stiftskirche Öhringen Bilder und Schrifttafeln zu Sophie Scholl, am 09. Mai in Forchtenberg / Hohenlohe geboren, am 22. Februar 1943 in München hingerichtet. Der Name steht für Widerstand aus christlichem Geist. „Es lebe die Freiheit!“ waren die letzten Worte ihres Bruders Hans unter dem Schafott.

Wenn wir den Widerstand nur noch in Geschichtsbüchern finden, ihn nur als Erinnerung pflegen (seit 2003 befindet sich eine Büste von Sophie Scholl in der Wallhalla in Donaustauf), und nicht wahrnehmen, dass dies alles auch uns heute betrifft, stimmt etwas nicht.

Die Historisierung des Unrechts macht blind für die Gegenwart, die Historisierung des Widerstands blind für die Unausweichlichkeit des Widerstands heute.

28. Okt. 2021

Zitat

Monika Donner: Corona-Diktatur 2021

“Die Kernaussage des Buches ist: wir schlittern in eine Diktatur hinein bzw. sind schon mitten drinnen. Es werden ca. 18 Grund- und Freiheitsrechte nicht nur eingeschränkt, sondern teilweise auch aufgehoben. Damit ist ein Bauprinzip der Verfassung, es ist ein oberstes Prinzip, nämlich das liberale Prinzip, teilweise außer Kraft gesetzt durch einen einzelnen Minister, durch eine Ermächtigungsgesetzgebung, die es de facto ist – das beweise ich im Buch. Und die Verfassungswidrigkeit resultiert daraus, dass wir keine Eingriffssituation haben, wir haben keine Epidemie bzw. keine Pandemie, die derartige  Eingriffe in unsere Grund- und Freiheitsrechte rechtfertigen könnte. Punkt.”

Interview v. 21. Aug. 2021 (Stefan Magnet AUF1.TV). Vgl. Monika Donner: Corona-Diktatur. Wissen, Widerstand, Freiheit, Wien: Monithor, 2021, 641 S. (ein Sachbuch mit vielen Anmerkungen). Die Autorin ist Juristin, strategische Analystin und arbeitet im österrreichischen Verteidigungs-ministerium.           

Quelle im Nezt: https://www.auf1.tv/stefan-magnet-auf1/monika-donner-wir-haben-die-pflicht-zum-widerstand-gegen-die-corona-diktatur.

15. Okt. 2021

Carl Julius Weber (1767 – 1832): Der lachende Philosoph 

Carl Julius Weber: Demokritos oder hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen. Von dem Verfasser der „Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen.“ Sechste, sorgfältig erläuterte Original-Ausgabe, Stuttgart: Rieger’sche Verlagsbuchhandlung, 1857 (Bd. I), 1858 (Bd. II – XI) u. 1859 (Bd. XII).

Anfang Mai 2017, unterwegs mit Hans Rollmann, Prof. der Religionswisenschaft in St. John’s / NF, dem ich viel verdanke, fand ich in einem Prager Antiquariat unweit des Bahnhofs den Demokritos des Carl Julius Weber. Der tschechische Antiquar ahnte wohl nicht, welchen Schatz er da hatte, auch ich war ahnungslos. Zwölf Bände in Taschenbuchformat standen da hoch oben im Regal, als Hinterlassenschaft irgendeiner deutschen Bibliothek vor 1945, und waren jetzt für nur zehn Euro zu haben. Ich griff nach einem der Bände – und war überrascht. Wie kenntnisreich und mit welch unglaublichem Witz und Humor der Autor hier die verschiedensten Themen abhandelt. Ich griff zu und kaufte das zwölfbändige Werk. Seitdem habe ich immer wieder mit großem Vernügen darin gelesen.

Erst langsam entdeckte ich, dass Weber ja in der Hohenlohischen Landschaft zu Hause war, die uns schon seit Jahren jeden Herbst zur Weinernte lockt. 

Der Verfasser des Demokritos: Cal Julius Weber, ein deutscher Schriftsteller, Satiriker und literarischer Einsiedler aus dem Hohenloher Raum, ist 1767 in Langenburg geboren und 1832 in Kupferzell gestorben. In Öhringen hat er das Gymnasium besucht, in Erlangen und Göttingen studiert. In der französischsprachigen Schweiz ist er Hauslehrer gewesen, hat sich dort mit der französischen Literatur und Philosophie beschäftigt, später war er Privatsekretär eines Grafen, Statthalter des Deutschen Ordens, Hof- und Regierungsrat, zuletzt Landtagsabgordneter in Württemberg.

Die Grabinschrift, die er sich selbst erwählte, offenbart in einem Satz sein ganzes satirisches Wesen: „Hier liegen meine Gebeine, ich wollte, es wären deine.“ Seine Familie hat diese Grabinschrift verworfen und durch eine andere ersetzt.   

Um auch nur annähernd ein Bild davon zu vermitteln, in welcher Breite und Tiefe der Bildung, nicht nur des Geistes, sondern auch des Herzens, Weber schreibt, gehen wir kurz durch das Inhaltsverzeichnis der Bände, um uns dann auf ein Thema zu beschränken. – Nach der Einleitung: „Fragment meines Lebens 1802 – 1804“ betrachtet Weber im ersten Bande die Kunst des Lachens, den Frohsinn, das Lächerliche als Prüfstein der Wahrheit, im zweiten Bande die Humoristen, Hagestolze, die Ehe, die gelehrten Weiber, alte Jungfern und Junggesellen, den Kuß (etc.).

Im dritten Bande des Demokritos geht es um Temperamente und Charaktere, das Klima, die Nahrung, Hexen und Hexenmeister, den Geist der Zeit. Im vierten schwingt sich Weber auf (oder hinab) zum Geist des theologischen Zeitalters – darauf kommen wir zurück –, spricht über Leidenschaften, den Stolz, die Eitelkeit, den Eigensinn, die Lügen, über Geschwätz und Geist.

Über Verschwendung, Geduld, Furcht und Feigheit, die Liebe, Eifersucht, Hass, Trinklust und Fresssucht, Schlaf und Traum kann man im fünften Bande lesen, über Langeweile, Romane und sonstige Bücher, das Theater, die Tonkunst, Tanz- und Jagdlust, Tabak, Pferd, Esel, Hunde, Katzen, Affen und Vögel, Insekten und Würmer im sechsten Bande.

Atem holen … Unglaublich die Fülle des Stoffs, die Frische der Darstellung, die Souveränität der Sprachhandhabung. Solche Bildung gibt es heute wohl nirgendwo mehr. Der siebente Band lacht über den Scherz, über den Staat, die Press[e]-Freiheit, die Religion, die Freigeisterei, die Sitten, den Luxus – dazwischen das Lob des reinen Christentums (S. 253 ff.).

Über Gebräuche, Höflichkeit, die Mode, die Etikette, die Satire quer durch die Epochen, über Spott und Ironie kann man im achten Bande lesen. Der neunte behandelt das Lustspiel, die Romane sowie andere Bücher und betrachtet die einzelnen Nationen der Franzosen, Italiener, Deutschen etc. mit ihren Eigenheiten. Im zehnten Band (gleich sind wir am Ende) spricht Weber über die Russen, die Polen, die Ungarn, die Morgenländer, Sinesen und Japaner, über die Großen dieser Erde, den Krieg, die Soldaten, über Staats- und Geschäftsmänner. Wo immer man hineinliest, stets ist es lehrreich und von ungeschlagenem satirischem Humor. 

Im elften Band zieht Weber über die einzelnen Berufsstände her: die Theologen, Juristen, Ärzte, Philosophen Mathematiker, Philologen, Dichter, Künstler, Techniker, Bediente, spricht über die Bettlerwelt, das Burleske. Von Webers Satire wird kein Berufsstand verschont und doch zugleich jedem Recht zuteil.

Der zwölfte Band schließlich ist ein einziges Witzbuch im allerbesten Sinne, eine reichhaltige Sammlung von Sprach- und Druckfehlern, Anagrammen, „Komischen Gesundheiten“, Rätseln, Sprichwörtern und Possen, Grotesken, Zynismen und Zoten. Der Gipfel:  „Das Kapital Pfui“, wo es auf vielen Seiten (S. 295 – 316) um gar nicht feine Winde geht. Alles unglaublich amüsant und geistreich, mit hohem Sprachwitz geschrieben, in dem Carl Julius Weber schier unerschöpflich ist. Hut ab vor diesem Werk!

Bleiben wir beim elften Band, nun sind wir am Ziel … Zum Reformationstag liegt es nahe, sich mit der Zunft der Theologen zu beschäftigen (ich bin ja selbst einer), betrafen doch Luthers Thesen von 1517 vor allem eine falsche Theologie, die des erkauften Ablasses. Wir stehen da heute vor ganz ähnlichen Problemen. Lassen wir Carl Julius Weber selbst sprechen in diesen beiden Kapiteln des elften Bandes: „Die Theologen“ (S. 1 – 19) und „Die Parodie der Bibel“ (S. 378 – 390). Wer sich hier fürchtet, dem sei gesagt: die Geschichte geht bei aller Satire am Ende doch gut aus.

Unter den Fakultäten war die theologische Fakultät stets die erste, deshalb wendet sich Weber auch zuerst dem Berufsstand des Theologen zu. Den Namen Theologie, nimmt man ihn etymologisch (als Gottes-Lehre), könnte man „vermessen und blasphemisch finden“. In diesem Zusammenhang wird „ein wahres Wort des sonst bloß spottenden Voltaire“ zitiert, den Weber, selbst ein Aufklärer, ansonsten wenig schätzt (eben wegen seines oberflächlichen Spottes):

„Die Theologie amüsiert mich; die Narrheit des Menschengeschlechts zeigt sich dort in aller Vollkommenheit“ (vgl. S. 1). Narretei ist es, wenn Theologen sich in früheren Zeiten wie Halbgötter fühlten und auch so benahmen, so dass jede Familie sich glücklich fühlte, wenn ihr Hänschen den geistlichen Beruf einschlug (vgl. S. 2). Wie viel Gutes hätten Hofprediger leisten können, meint Weber, wenn sie nicht zuletzt Höflinge geworden wären … (vgl. S. 3).

Weber selbst wäre ja um ein Haar auch Theologe geworden: „ … mein Vater starb in meinem fünfzehnten bis sechzehnten Jahre; ich wußte nicht[s] ander[e]s, als daß ich Jura studi(e)ren werde, beschloß aber nun, Theolog zu werden, und lernte heimlich Hebräisch, sechs Monate lang; dann verlor sich die trübe Stimmung, die mich zum Theologen und Hebräer machte“ (S. 5).

Webers Kritik, auf die wir nicht im einzelnen eingehen können, betrifft u. a. die Dogmatik und verschiedene spitzfindige Fragen der Scholastik. „Was war das für ein Baum, auf den Zachäus gestiegen? Woraus bestand die Salbe, die Maria dem Herrn brachte …?“ (S. 6). Auch auf manche Details kommt er mit Witz zu sprechen, etwa auf die Kleiderordnung und auf die Wirkung plötzlichen Stillschweigens während der Predigt, wenn die Knaben im Chore zu laut sind (vgl. S. 8) oder gar der König im Gottesdienst schwätzt.

„Aber nun genug! Wenn ich mir auch nicht defini(e)ren kann, was ist ein Theolog? so weiß ich, was ein Volkslehrer oder Landprediger sein soll, und viele wackere Männer auch sind“ (S. 13).

Am Schluß des Kapitels zu den Theologen singt Weber geradezu ein Loblied auf jene „achtungswerthen Männer … voll stiller, oft verkannter Verdienste und alter Tugenden und Einfachheit“ (S. 17), ein Loblied auch auf das evanglische Pfarrhaus. Von „fruchtbaren Priesterehen“ ist hier die Rede, aus denen achtbare Töchter und Söhne hervorgehen, „die der Geschäfts- und gelehrten Welt Ehre machen“ (S. 18). Bei allen „Neckereien“ wider die Theologie lässt Weber doch keinen Zweifel daran, dass er „dem braven Landprediger, dem Seelsorger des gemeinen Mannes“ Achtung zollt. „Der würdige Mann, der sich das Vertrauen seiner Gemeinde zu erwerben wußte, so daß sich jeder Raths erholt*, ehe er etwas anfängt … – der ist ein wahrer Seelsorger. Amen!“ (S., 19).                                                             * Lies: so dass sich jeder Rat holt.

Im vorletzten Kapitel des elften Bandes: „Die Parodie der Bibel“ (378 ff.) geht es um  „Bibelanspielungen“, die Weber nicht für verwerflich hält, eher für zweckmäßig gegen alle Bigotterie: „Bibelschwärmer“,  „Mucker“ und „Bibliomane“ (Bibelbesessene; vgl. S. 382 / 383). Auch Weber zitiert gern die Bibel. „weil in meiner Jugendzeit die Bibel Hauptlektüre war, und kraft dieser Jugendeindrücke die Bibel noch heute unter meine Handbücher gehört“, und  „weil ich [nun] einmal eine altdeutsche Kraft in der Sprache Luthers finde oder in der Bibelsprache überhaupt“ (S. 382 / 383). 

Gleich zu Anfang des Kapitels bekennt Weber, der lachende Philosoph und Satiriker, seine hohe Wertschätzung der Bibel, wie ich solche  in dieser Klarheit  anderswo selten gefunden habe. „Die Bibel ist durch die Einfachheit Ihres Ausdrucks und  Erhabenheit ihrer Ideen und Bilder nicht bloß für das lange Mittelalter, sondern auch für spätere Zeiten Quelle, Norm und Ziel aller bildlichen Ansichten und Dichtungen“ (S. 378). Und weiter: „Die Bibel ist das kindlichste aller Bücher, und Luthers Übersetzung das schönste altdeutsche Nationalwerk, das jede neuere, selbst bessere Verdeutschung überleben muß, denn sie ist geheiligt, wie die Tempelbücher selbst, durch den Altar, die Kraft und den Namen des Übersetzers“ (S. 397). 

Von der Religionsspötterei des Alt-Aufklärers Voltaire (1694 – 1778) grenzt Weber sich deutlich ab: „Nirgendswo erscheint mir Voltaire in einem oberflächlicheren, ekelhafteren und verächtlicherem Licht und in größerer Gemüthslosigkeit … als in seiner Bible enfin expliqué par un Aumonier des Sa Majesté le Roi de Prusse“* (S. 379). So fällt Voltaires Spott auf ihn selbst zurück … 

* Die Bibel, endlich erklärt durch einen Almosenempfänger seiner Majestät, des Königs von Preußen (1777). Es gibt eben nicht nur Hoftheologen, sondern Höflinge auch in der Philosophie.

28. Okt. 2021

Reformation

Darum weg mit allen jenen Propheten, die den Christen predigen: ‚Friede, Friede!‘ [Jeremia 6, 14] und ist kein Friede.

Man soll die Christen ermutigen, dass sie ihrem Haupt Christus durch Strafen, Tod und Hölle nachzufolgen trachten, und dass sie lieber darauf trauen, durch viele Trübsale ins Himmelreich einzugehen, als sich in falscher geistlicher Sicherheit zu beruhigen.*                       Martin Luther (Wittenberg 1517)

* These 92, 94 u. 95, zitiert nach Ingetraut Ludolphy: Die 95 Thesen Martin Luthers, Berlin: Eva, 1983, 8. Aufl., S. 30.

Das confidere (Glauben, Vertrauen) in die securitas pacis [These 95], hier mit „falscher geistlicher Sicherheit“ übersetzt, meint ein irriges Vertrauen auf die Sicherheit eines Friedens, der kein Friede ist. Mit anderen Worten: Trau dem falschen Frieden nicht, misstraue auch der Gesundheit, der Immunität, die man Dir mit der „Impfung“ verspricht. – So der Deckname für eine Genveränderung, die an die Grundbausteine der menschlichen Existenz rührt.

Nun fehlt nur noch, dass man uns mit den 3 G (getestet, genesen, geimpft) Sündenablass verspricht … Die Moralisierung der Impfentscheidung ist schon weit vorangeschritten. Wer sich gegen die Impfung äußert, wie kürzlich der Fußballer Joshua Kimmich, gilt schlechthin als unanständig („Impfverweigerung als Solo eines Egoisten“ titulierte die FAZ). Als Fußballer soll er ja ein Vorbild sein …

Das Ganze ein Lehrstück in Sachen Kritik, Meinungsfreiheit, Demokratie, Dialogbereitschaft (etc.).

28. Okt. 2021

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