WendeBlätter 2020, Ausgabe 52

Zitat I

Konsalik: Die Verdammten der Taiga (1974)

„Er [Serikow] spürte wieder das Brennen in seinen Kriegsnarben, und die Erinnerung an den damaligen Haß kam zurück. Er hatte geglaubt, das alles überwunden zu haben – die deutschen Jagdflugzeuge, die sich wie Riesen-hornissen auf die zurückflutenden Kolonnen stürzten und in deren Kugelhagel auch sein Vater liegenblieb. Oder die Beschießung von Minsk. Nichts Er-schütterndes, verglichen mit dem, was der Krieg später noch an Zerstörung brachte …, aber schon diese eine Granate war zuviel, die seine Mutter und seine einzige Schwester auf der Straße erreichte. Was man später beerdigte, waren nur einige gesammelte Fleischfetzen. Er hatte sich ehrlich bemüht, zu vergessen, daß die Deutschen seine ganze Familie ausgelöscht hatten. Die Serikows standen nicht allein. Millionen war es so ergangen, auch in Deutschland, wo später in einer einzigen Nacht mehr Menschen unter den Phosphorbomben verbrannten, als Panzerschlachten an der Front Verluste bei den Soldaten hinterließen. Der Krieg, auch wenn man ihn den Großen Vaterländischen nannte, war eine Erinnerung, auf die kein Volk stolz sein konnte, und er hatte Jahre gebraucht, dieser General Serikow, um das einzusehen. Jetzt aber brach der Haß wieder in ihm auf und das Wort Deutsch wirkte wie ein Angriffssignal.”

Heinz G. Konsalik (1921–1999): Die Verdammten der Taiga, München: Wilhelm Heyne Verlag, 1988. Drei Rußland-Romane in einem Band, S. 7–328, hier: S. 122 (Hervorhebung: G. Z.). Zur Erklärung der Situation: General Serikow war von seiner Geliebten, Katja, ver-lassen worden, die sich einem Deutschen zugewandt hatte, ihm nachgefahren war.

29. Okt. 2023

Vorwort  

Ich habe einige Jahre in einer Schlosserei und Schmiede gearbeitet und weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, ein heißes Eisen anzufassen. Hat man genügend Hornhaut an der Innenhand, kann man dies sogar für einen kurzen Augenblick tun, ohne sich zu verbrennen. Im rechten Moment loszulassen, auch das eigene Skript, ist allerdings wichtig.

Anders gesagt: Es muss in einer „freiheitlichen Demokratie“ möglich sein, sich zu anstehenden Themen frei zu äußern, ohne mit den üblichen Schlagworten gleich in eine bestimmte Ecke des Denkens geschoben, mangelnder Intelligenz und minderer menschlicher Qualität verdächtigt zu werden. Allesamt Strategien, die in unserem Lande leider zur Alltäglichkeit geworden sind, weil man so dem tieferen Nachdenken über ein Thema am besten ausweichen kann.

Journalisten stehen mit ihrer Arbeit am Wort in hoher Verantwortung. Frei oder Sklave sein, Mensch mit Herz und Sinn oder dienstbarer Knecht der herrschenden Ideologie, das ist hier die Frage. Und war sie auch in früheren Zeiten.

Die Menschheit steht auch heute vor dieser Entscheidung, ob sie den Weg der Vergeltung weitergehen oder sich – endlich – der Versöhnung zuwenden will. Ich denke, dass die in Ausg. 52 der WendeBlätter vorgelegten Texte, einschließlich „Barbie“ von Michael Schuch, gut in das Ende des Kirchenjahres passen – zu Allerseelen (02. Nov.), Volkstrauertag (19. Nov.), BUSSTAG (22. Nov.) und Ewigkeitssonntag (26. Nov.). – Mit dem Licht im Advent leuchtet dann neue Hoffnung auf, eine höhere Gerechtigkeit …

Der Werk der Gerechtigkeit wird Friede sein und der Ertrag der Gerechtigkeit Ruhe und Sicherheit für immer.                                                    Jesaja 32,17

Jesus Christus spricht: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen,  die Sünder zur Umkehr (metanoia) zu rufen, nicht die Gerechten.                                                                        Markus 2,17

Gute, tiefgehende, erhellende Lektüre wünscht

G. Z.                                                               Sebnitz, am Reformationstag 2023

Michael Schuch: Barbie – ein Film voller Lügen

„Als Salomo alt geworden war, da wendeten seine Frauen

sein Herz anderen Göttern zu … So lief Salomo

der Astarte nach, der Gottheit der Zidonier.“

(1. Könige 11,4-5)


Am 10. August 2023, drei Wochen nach dem Kinostart, hatte der Film „Barbie“ bereits über eine Milliarde US-Dollar eingespielt.1 In Deutschland ist der Film mit einer FSK 6-Kennzeichnung (Freiwillige Selbstkontrolle der Film-wirtschaft) versehen. Die Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW) verleiht Barbie das Prädikat „besonders wertvoll“.2

Oberflächlich betrachtet handelt es sich um einen dümmlichen, aber harmlosen Kinderfilm. Doch bei genauerer Analyse entdecken wir, dass hier Botschaften transportiert werden, die alles andere als kindgerecht sind. Wer der englischen Sprache mächtig ist, sollte sich das 26-minütige Video von Jonathan Cahn ansehen: „The Mystery Of Barbie, Ishtar, and Smashed Babies!“2

BARBIES ERSCHEINUNG

Schon die erste Szene zeigt, welcher Geist hinter dieser „Komödie“, dieser „Hommage an alle Frauen“ wirklich steckt. Wir sehen eine Gruppe schweigsamer kleiner Mädchen, die mit Puppen spielen. Dazu hören wir die betörende Stimme der Erzählerin: „Seit Anbeginn der Zeit, seit die
ersten kleinen Mädchen existierten, gab es Puppen. Aber es waren nur Babypuppen, mit denen sie nur Mütter spielen konnten.“

Dieses „Aber“ klingt problematisch. Und worin liegt das Problem? In Baby-puppen, mit denen man „nur“ Mütter spielen kann! Mädchen, die sich um ihre Puppen so kümmern, als würden ihre eigenen Mütter sie im Arm halten, sie füttern, ihnen das Haar kämmen. Interessanterweise machen die Mädchen einen düsteren, unglücklichen Eindruck, so als ob man sie zu dieser Beschäftigung gezwungen hätte. Spielen ist etwas, das Spaß macht, aber der Film verkehrt das ins Gegenteil und stellt diese Art des Spiels als Sklaverei dar. Doch die Erlösung naht: Barbie fällt vom Himmel und bietet sich den spielenden Mädchen als Alternative zu ihren Babypuppen an. Eines der Mädchen berührt zaghaft Barbies linkes Bein. Sie zwinkert den Mädchen zu. Diese sind wie hypnotisiert.

In der Folge hebt eines der Mädchen seine Babypuppe, um die sie sich eben noch gekümmert hat, hoch und schlägt sie auf den Kopf einer anderen Puppe, so dass dieser auf dem felsigen Untergrund splitternd zerbricht.

Um diese verstörende Szene besser einordnen zu können, müssen wir 55 Jahre zurückgehen: 1968 erschien Stanley Kubricks Science-Fiction-Epos 2001: Odyssee im Weltraum. Die Eingangsszene trägt den Titel „Aufbruch der Menschheit“ (The Dawn of Man).


Sie führt uns in eine Savanne zu einer Horde Menschenaffen, deren Alltag als Pflanzenfresser von Angst, Not und dem Kampf ums nackte Überleben bestimmt wird. Artgenossen eines rivalisierenden Stammes vertreiben die Horde von einer Wasserstelle. Eines Morgens bemerkt die Horde, dass über Nacht scheinbar aus dem Nichts ein drei Meter hoher, glattpolierter, rechteckiger Monolith neben ihrem Lager aufgestellt wurde. Der schwarze Monolith wird zunächst zögerlich umkreist. Einige Mitglieder der Horde überwinden schließlich ihre Angst und berühren zaghaft das mystische Artefakt. Im Verlauf der nächsten Einstellungen wird deutlich, dass seit der Begegnung mit dem Monolithen eine evolutionäre Bewusstseinsveränderung stattgefunden hat. Einer aus der Gruppe kommt schließlich im Zuge der Bewusstseinserweiterung beim Anblick eines ausgebleichten Oberschenkelknochens auf die folgenreiche Idee, den Knochen als Waffe zu verwenden.3


In der nächsten Szene hat sich das Leben der Horde entscheidend verändert. Sie ist mit der Tötung eines Tapirs mittels eines Knochens zum Jäger und Fleischfresser geworden. Die Horde kehrt zu der von der rivalisierenden Sippe beherrschten Wasserstelle zurück. Mit einem als Waffe eingesetzten Knochen wird der Anführer der gegnerischen Artgenossen erschlagen und der restliche Stamm vertrieben.3


Die Parallelen sind überdeutlich.4 In der Videobeschreibung gibt es einen Link, der dies in einem ganz kurzen Video sehr deutlich macht.


Die kleinen Mädchen in „Barbie“ werden in die Rolle von Affen versetzt. Die Botschaft lautet: So wie die Affen für das Primitive stehen, gelten die Mädchen, die mit Babypuppen spielen, als primitiv und unaufgeklärt. Den Gedanken zu Ende geführt heißt das: Frauen als Mütter sind primitiv. Diesem Zustand gilt es zu entrinnen.

Den Affen gelingt es, weil ihnen ein Monolith erscheint, der ihr Bewusstsein erweitert. Den Mädchen gelingt es durch die Erscheinung von Barbie, die über ihnen wie eine kolossale Göttin steht. Aufschauend zu diesem Idol werden sie aus ihrem primitiven, mit der Mutterschaft verbundenen Zustand errettet.


Spielen erfüllt einen wichtigen Zweck. Es bereitet die Kinder auf das Er-wachsensein vor. Es ist also kein Zufall, dass Mädchen von Natur aus immer als Vorbereitung auf die Mutterschaft mit Babypuppen gespielt haben. Wie sollen wir also einen Film beurteilen, in dem sich kleine Mädchen unter dem Bann von Barbie von der Pflege ihrer Babypuppen abwenden und stattdessen beginnen, sie zu zerstören? Wenn die Pflege einer Babypuppe der Pflege eines Babys entspricht, welcher Handlung entspricht dann das Zerschlagen einer Babypuppe? In Kubricks Epos ist es noch der feindliche Affe, der mit einem Knochen erschlagen wird. Im Barbiefilm wird sinnbildlich das eigene Baby erschlagen. Wie krank ist das denn?


BARBIES HERKUNFT


Nun ein paar Worte zu Namen und Herkunft von Barbie. Der Name ist eine Abkürzung von Barbara und bedeutet „die Fremde“. Der NDR schreibt dazu:


„Die Barbie geht auf eine norddeutsche Erfindung zurück: die ,Bild-Lilli‘. Eine tägliche Karikatur in der ,Bild‘-Zeitung machte die Figur so populär, dass daraus 1955 eine Puppe als Werbe-Ikone entstand. Hoher Zopf, High Heels, schlanke Taille: So sieht ,Lilli‘ aus, die Titelfigur der Comics von Karikaturist Reinhard Beuthien. Erstmals füllt seine Schwarz-Weiß-Zeichnung am 24. Juni 1952 eine einspaltige Lücke auf Seite zwei in der Erstausgabe von Axel Springers ,Bild‘-Zeitung. Darauf ist zu sehen, wie sich ,Lilli‘ bei einer Wahrsagerin die Zukunft vorhersagen lässt – und die ist auch im wirklichen Leben rosig. Denn aus dem anfänglichen Lückenfüller entwickelt sich eine wahre Erfolgsgeschichte in den Nachkriegsjahren, Made in Germany.“5

Dieser Text verschweigt ein wichtiges Detail, das aber die Washington Post in einem Artikel vom 25. Mai 2023 preisgibt. Dort wird M. G. Lord, Autorin des Buches „Forever Barbie: The Unauthorized Biography of a Real Doll“ mit den Worten zitiert: „She was a pornographic caricature“.

Weiter heißt es:


„Die Figur wurde in Deutschland so beliebt, dass sich Lilli zu einer Art dreidimensionalem Pinup entwickelte. Einer der Autoren der ersten Barbie-Werbespots erzählte Lord für ihr Buch, dass Männer die Puppe in ihren Autos an den Rückspiegel hängten oder sie in Kneipen mitnahmen, wobei sie ihren Rock hochhoben oder ihre Hose herunterzogen, um sich einen Spaß daraus zu machen.“6


BARBIE UND DAS PATRIARCHAT


Der häufige Gebrauch des Begriffs „Patriarchat“ ist ein weiteres Indiz dafür, dass dieser vermeintliche Kinderfilm in erster Linie als Medium dient, um ganz bestimmte weltanschauliche Botschaften zu übermitteln. Auf der Webseite von no-guilt life (zu Deutsch: „Leben ohne Schuldgefühle“) findet man eine Zitatesammlung aus dem Film.7 Zu „Patriarchat“ finden sich fünf Einträge. Aus Barbies Mund vernehmen wir den folgenden Satz:


„Giving a voice to the cognitive dissonance required to being a woman under the patriarchy robbed it off its power“. – Ich musste diesen Satz mehrmals lesen, um seinen Sinn erfassen zu können. Zum besseren Verständnis habe ich ihn aufgegliedert. Aufgelöst heißt das:


• Nach Barbies Überzeugung befindet sie sich in einem Patriarchat.
• Damit eine Frau im Patriarchat überleben kann, muss sie über kognitive    

  Dissonanz verfügen.

• Indem sie diese als solche benennt, bricht sie die Macht des Patriarchats.


Wer denkt bei Kinderunterhaltung an kognitive Dissonanz8 oder Patriarchat? Viele Erwachsene sind mit diesen Begriffen schon überfordert.

Ich will an dieser Stelle über den Sinn oder Unsinn dieser Phrase gar nicht weiter spekulieren. Klar ist, solche Worthülsen werden zu Propagandazwecken verwendet. Es geht darum, uns und unsere Kinder einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Die inflationäre Verwendung des Begriffes „Patriarchat“ soll den Eindruck erwecken, als sei dieses absolute Realität. Dabei ist dieser Begriff nur ein Schlagwort, das wie ein Gespenst die Schriften des radikalen Feminismus durchzieht, das für alles Übel in der Welt verantwortlich ist.

Es ist kein Zufall, dass dieser Begriff in einem Film immer wieder auftaucht, der die männlichen Protagonisten, die „Kens“, als böse und gefährlich darstellt. Zu Beginn erscheinen sie als Idioten, als nutzlose, minderwertige Kreaturen, die zu nichts zu gebrauchen sind und die nach ihrem Kontakt mit der „realen Welt“ zu  Bösewichten mutieren, um Barbieland in ein Patriarchat zu verwandeln. (Mehr dazu in dem Video von Cahn.)


BARBIE IM GEIST DER GÖTTIN ISHTAR

„Wenn der unreine Geist von dem Menschen ausgefahren ist, so durchzieht er wasserlose Gegenden und sucht Ruhe. Und da er sie nicht findet, spricht er: Ich will zurückkehren in mein Haus, aus dem ich weggegangen bin. Und wenn er kommt, findet er es gesäubert und geschmückt. Dann geht er hin und nimmt sieben andere Geister mit sich, die bösartiger sind als er selbst, und sie ziehen ein und wohnen dort, und es wird der letzte Zustand dieses Menschen schlimmer als der erste.“ (Lukas 11,24–26)


In seinem Buch „Die Rückkehr der Götter“ schreibt Cahn darüber, was passiert, wenn eine Zivilisation sich von Gott abwendet. Sie wird nicht in einen neutralen Zustand kommen, sondern andere Geister betreten das Vakuum.

Einer der ältesten dieser Geister ist der einer Göttin, die in der Bibel als Astarte bekannt ist. Bei den Sumerern wurde sie Inanna genannt, in Babylon trug sie den Namen Ishtar. Sie war die Göttin der Sexualität, der sexuellen Unmoral, sie wird immer als junge unabhängige Frau dargestellt. Als solche übernimmt sie Rollen, die traditionell von Männern eingenommen werden. Im Allgemeinen zeigt sie einen Charakter, der abgeneigt ist gegenüber Ehe und Mutterschaft. Sie war die Göttin der Frauen, die nicht verheiratet waren. Die mesopotamische Kultur war voll von ihren Bildern und kleinen Götzenfiguren, die die Menschen in ihren Häusern aufbewahrten.

Ishtar war auch weithin bekannt als die Königin des Himmels. Ein Tempel befand sich in der Stadt Uruk, die später zum Hauptzentrum ihrer Verehrung wurde. Diese Stadt war auch als Stadt der göttlichen oder heiligen Prostituierten bekannt und Ishtar galt als deren Beschützerin.9

Doch Ishtar oder Inanna hat noch andere Aspekte, die sich in unserem Zeitgeist manifestieren. So heißt es in einem Hymnus an Inanna:

„To turn a man into a woman and a woman into a man are yours, Inan[n]a“10. Zu Deutsch: „Dir, Inanna, obliegt es, aus einem Mann eine Frau und aus einer Frau einen Mann zu machen.“ In einer anderen alten Inschriften lesen wir, dass Ishtar die Männlichkeit der Männer zerreibt.11 Alles Aspekte, die in diesem Kinderfilm mehr oder weniger offensichtlich zu Tage treten.

Nachbemerkung: Möge diese Kritik an „Barbie“ unser Bewusstsein stärken, dass es auf der geistlichen Ebene kein neutrales Gelände gibt. Als spirituelles Wesen steht der Mensch unter dem Einfluss überirdischer Mächte. Auch hart-gesottene Atheisten können sich diesem Gesetz nicht entziehen. Wer Gott ablehnt, verfällt den Götzen.

Michael Schuch, im August 2023            (zum Hören: https://youtu.be/oGIR3xe9vwU)

Anmerkungen:

1 https://www.ndr.de/kultur/film/Barbie-Wie-Produkt-Filme-Hollywood-erobern, kinomarketing100.html                                            

2 https://youtu.be/cKp-A6BBg-E

3 https://de.wikipedia.org/wiki/2001:_Odyssee_im_Weltraum

4 https://www.youtube.com/watch?v=I6vPuIMAOlA

5 https://www.ndr.de/geschichte/koepfe/Barbies-Vorbild-Die-Bild-Lilli-aus-Hamburg,bildlilli102.html

6 https://www.washingtonpost.com/lifestyle/2023/05/25/barbie-trailer-creator-pornographic-origin-doll/

7 https://noguiltlife.com/quotes-from-barbie-movie-2023/

8 „Kognitive Dissonanz bezeichnet in der Sozialpsychologie einen als unangenehm empfundenen Gefühlszustand, der dadurch entsteht, dass ein Mensch unvereinbare Kognitionen hat (z. B. Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten). Kognitionen sind mentale Ereignisse, die mit einer Bewertung verbunden sind. Zwischen diesen Kognitionen können Konflikte („Dissonanzen“ genannt) entstehen.“

(https://de.wikipedia.org/wiki/Kognitive_Dissonanz)

9 https://avareurgente.com/de/stern-der-venus-inanna-oder-ishtar-geschichte-und-bedeutung

10 https://etcsl.orinst.ox.ac.uk/cgi-bin/etcsl.cgi?text=t.4.07.3&charenc=j #

11 https://dobsonlibrary.com/resource/article/63729fcc-c078-47c8-8539-98722c9899c3

Reflexionen zu Erhart Kästner (Zeltbuch von Tumilad, 1949)

Dies zu erkennen, fällt schwer: Wir leben hier auf Erden alle nur in Zelten, mehr oder weniger komfortabel. Und ein Zelt in der ägyptischen Wüste kann die Welt bedeuten, in ganzer Fülle. Kästners „Zeltbuch von Tumi-lad“, an dessen menschlicher und poetischer Qualität kein Zweifel ist, legt davon Zeugnis ab. Ein Buch, das meine Sichtweise, meine Wahrnehmung der  Welt und des Menschen noch einmal von Grund auf verändert hat.  

Zur Biografie                                                  

Erhart Kästner (1204–1974) war ab 1930 Bibliothekar an der Sächsischen Landesbibliothek Dresden. Als Leiter der Handschriftenabteilung hat er dort das Buchmuseum aufgebaut. Seine Dissertation „Wahn und Wirklichkeit im Drama der Goethezeit“ (1929) haben ignorante, vom Zeitgeist verführte Studenten, die ihn mit Erich Kästner verwechselten, 1933 bei der Bücherverbrennung auf dem Schlossplatz in Braunschweig mit auf den Scheiterhaufen geworfen. 

1936–37 war Kästner Sekretär von Gerhart Hauptmann, dem er zeitlebens verbunden blieb. 1940 zur Luftwaffe in Liegnitz eingezogen, meldete er sich im März 1941 als Freiwilliger zum Kriegseinsatz und war freigestellt, für Soldaten Bücher über Griechenland zu verfassen. Über seine zweijährige Kriegs-gefangenschaft in Nordafrika nach Kriegsende hat er das „Zeltbuch von Tumilad“ geschrieben. 1950–1968 ist er Direktor der berühmten Wolfenbüttler Herzog August Bibliothek gewesen. Sein hier aufbewahrter Nachlass umfasst 17.000 Manuskriptblätter  und über 6.000 Briefe. – Kästner war Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und der Bayerischen Akadamie der schönen Künste. 1957 erhielt er den Literaturpreis der Stadt Köln.* * Quelle: Wikipedia

Enzyklopädisten heute

Wikipedia, ein Wissensportal, das sich als „Die freie Enzyklopädie“ anpreist, ist keineswegs frei von Ideologie, das zeigt sich auch an der Beurteilung von Erhart Kästner. Tendenziös, in anderer Weise, war bekanntermaßen ja schon die Enzyklopädie der französischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts (in ihrer Glaubens- und Kirchenfeindschaft mit Auswirkungen bis in die Gegenwart).  

Sucht man nach dem höchsten Berg der Erde, nach der  Entfernung der Erde von der Sonne und ähnlichen nüchternen Daten, mag Wikipedia von Nutzen sein. Geht es um Geschichte, Politik, Religion, das Menschenbild etc. ist die so genannte „Information“ auf weite Strecken eine sehr gefärbte. Das wäre an zahllosen Stichworten zu beweisen. Die Darstellung des Ukrainekonflikts z. B. ist in hohem Maße einseitig und folgt im Wesentlichen der NATO-Auffassung.

Was Erhart Kästner betrifft, so macht ihm Wikipedia letztlich zum Vorwurf, dass er 1939 der NSDAP beitrat und seine Griechenlandbücher für Wehrmachts-soldaten schrieb. Angelastet wird ihm auch,  er habe „den Sieg der nordischen Deutschen als Rückkehr der arischen Rasse in das angestammte Südland“ interpretiert. Auch die Verbindung zu Martin Heidegger spielt hier belastend hinein. Wikipedia meint, Kästners Prosawerk habe in den 50er und 60er Jahren gut zu dem „allgemeinen Wunsch nach Verdrängung“ gepasst …

Dies mag als Mahnung und Ermutigung dienen, immer das Werk selbst zu lesen, sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen, in seinem Urteil nicht mit bei dem stehenzubleiben, was andere über den Autor und sein Werk schreiben.

Geschichtsbetrachtung

Überhaupt stimmt einiges (das dringt nun mehr und mehr in das Bewusstsein)    grundsätzlich an unserer Geschichtsbetrachtung nicht. Wir sind doch nicht besser als die vor uns. Ein jeder prüfe  sich selbst – und die eigene Familie, wie sich Menschen den wechselnden Systemen angepasst, auf welche Kompromisse sie sich eingelassen haben, bis zum heutigen Tage. Sei’s aus tiefster Über-zeugung, aus Mitläufertum oder aus taktischen Gründen. Zu befragen wären da auch einige DDR-Schriftsteller und Schriftstellerinnen. 

Wir urteilen heute leichthin, mit unseren heutigen Maßstäben und Begrenzt-heiten, über frühere Zeiten. Wie konnte man das alles nur zulassen?! Wie war das möglich?! Auf den Punkt gebracht: Wer von uns heute hätte denn wirklich in der vom Judenhass geprägten nationalsozialistischen Zeit einen jüdischen Menschen versteckt – unter Gefahr des eigenen Lebens? Im „Stürmer“  (erschienen 1923–1945) ein Hetzblatt zu erkennen, war nur der erste Schritt heraus aus der herrschenden, die Sinne der Masse vernebelnden Ideologie. Der zweite Schritt wäre gewesen, dieser Erkenntnis konkretes Verhalten und helfende Tat folgen zu lassen. Die meisten blieben bereits beim ersten hängen.

Da war es schon viel, wenn meine Großmutter Else Zenker geb. Kuziemski (1891–1974), sie stammte aus Breslau, während der Nazizeit in einer Bäckerei des nahe Sebnitz gelegenen böhmischen Grenzortes Nieder Einsiedel (heute Dolni Poustevna) gegen die allgemeine Stimmung im Laden* öffentlich äußerte:

„Die Juden sind doch auch Menschen!“

* Das Bäckerzeichen an dem Hause ein paar Schritte links hinter dem Grenzübergang Sebnitz – Dolni Poustevna ist heute noch zu erkennen.

Kriegsende und Wüstenlager

Erhart Kästner hat das Kriegsende 1945 auf Rhodos erlebt, im Anblick eines auf das von den Briten besetzte Inselchen Symi zufahrenden deutschen Motor-bootes:

„Lautlos war klar: Übergabe, Ende des Mordens, Ende des sinnlosesten Krieges.“ /  „Mir war der Himmel während des Krieges gnädig gewesen; ich hatte Grund, auf den Knieen dankbar zu sein. Mir blieb erspart, unter Mordenden mitmorden zu müssen.“*                             .

* Erhart Kästner: Zeltbuch von Tumilad, Frankfurt/M.; Hamburg: Fischer, 1956, S. 26/27.

Kästners „Zeltbuch von Tumilad“ – ein Buch, das die Zeit der Gefangenschaft in der afrikanischen Wüste beschreibt, die äußeren Umstände des Lagerlebens aber nur am Rande berührt, im Kern die innere Erfahrung „Wüste“ reflektiert.

„Natürlich litt man vor allem an der Vielzahl und Übernähe von Menschen. Das Lebensrecht an einem Mindestmaß Raum auf der Erde ist noch nicht geklärt“ (S. 74). „Ein Zelt maß vier mal vier Meter, das ergab für acht Mann, die darin wohnten, je zwei Quadratmeter Platz, eine ungemein einfache Rechnung. Zwei Quadratmeter: das war also das Maß, das die weite Welt übrig hatte für uns“ (S. 32). Soziale Unterschiede spielten hier in der Wüste keine Rolle, was galt, war die Gabe, aus dem Vorhanden etwas zu machen. Da behalfen sich die Hand-werker unter Gefangenen am besten, bei ihnen kam keine Ratlosigkeit auf; fast aus dem Nichts schufen sie das Beste. Die geistigen Arbeiter lebten in der Welt der Bücher (vgl. S. 146/147).

Und ringsum: die zeitlose Poesie der Wüste. Heimstatt der Mönche, der Anachoreten (S. 56 ff.). Ein Ort der Stille. Sand überall. Kein Schmutz, nur Sand. Hier konnte der Mensch sein Leben zur Essenz bringen: „Jeder wünschte sich, sein Leben noch einmal ins Reine zu schreiben“ (S. 62).  

In den Zelten die verschiedensten Lebenswelten. Da gab es den Kunstsammler Paul (S. 34 ff.), den Musiker Haffner, der mit unglaublicher Geduld und großem Geschick ein ganzes Symphonieorchester ins Leben rief (S. 146 ff.) – und einen Kosmos von Büchern. „Es war überraschend, wie viele Bücher sich nach und nach fanden. … es war fast nichts Belangloses dabei. Alles war den Besitzern wesentlich, alles geliebt“ (S. 64). Auch Wilhelm von Kügelgens „Jugenderin-nerungen eines alten Mann“ waren darunter: „Der Schmerz um das verlorene Dresden stieg aus diesem Buche hervor. War es denn schon verspielt und verloren gewesen, bevor es in Schutt sank? Das war die Frage“ (vgl. S. 64/65). 

Wüstenzeit – Wüstenbilder

In Betrachtung der Sternbilder verlor sich die Zeit. „Bilder sind das einzige, wodurch das Unfaßbare zu uns spricht, nur durch Bilder schlüpft es in uns hinein.“ … „Bilder! Bilder! Helfen uns etwa Gedanken? Kenntnisse, Wissen? Lehrsätze und große Systeme? Die Seele ernährt sich von Bildern: so ist es seit uralter Zeit“ (S. 68).

Im nächtlichen Kreisen des „himmlischen Bilderbuchs“ erweist sich die Nacht kostbarer als der Tag. „In solchen Nächten, in denen nichts war als verrinnende Zeit, konnte der große Fortschritt gelingen, daß man ahnungsweise absehen konnte von ihr“ (S. 71). – „Was mit der Zeit abfiel, war nur das Halbgelebte und Ungeratne gewesen. Alles Minderwertige … war mitgeführt von der Zeit. Die Zeit war die Mutter des Schlechten“ (vgl. S. 72). Aus der Ahnung von Zeitlosig-keit erwuchs Klarheit. – „Unser Leben war zeitlos, wie die Wüste es ist“ (S. 174).

Die Wüste als moderne Landschaft, die den inneren Zustand des Menschen spiegelt. Verwüstung, das Ausgehöhltsein, Hiflosigkeit, Verwirrung – „das war doch die Lage von allen“ (S. 125). „Ich sah, dass die Wüste die eigentlich kontemplative Landschaft ist“ (S. 171). Diese Haltung verteidigte auch der Dirigent Haffner im Disput mit dem Kunstsammler Paul (vgl. S. 151–164).

Ein greises Haupt im Welttheater

Im Welttheater, wo die Schauspieler selbst nicht wissen, was Schein und was Wirklichkeit ist (nur die Zuschauer haben beides), die Schilderung einer geistigen Begegnung mit einem greisen Haupte: „Antlitz, purpurdurchwellt vom Wein. Greisenmund, welcher spricht, was man behält und vergißt. Erzählt und beschwört, von Bildern umstellt“ (S. 102). Gemeint ist Gerhart Hauptmann (1862–1946), dessen Sekretär und Bewunderer Kästner gewesen ist. Die Be-gegnung mit Gerhart Hauptmann nimmt im „Zeltbuch von Tumilad“ einen breiten Raum ein (vgl. S. 101–116).

Kästners „Zeltbuch“ – ein hochpoetisches Werk, mit überraschenden Gedanken und Bildern. Menschen im Anblick des kreisenden Sternenhimmels, die Erfah-rung von Musik, Bücher (die Bibliothek der Gefangenen) und eine tiefe Empfindung des Wahren und Schönen inmitten des öden Lageralltags. Ein Überlebensbuch von seltener Schönheit.

Auf diesem Fundament: die Trauer um Dresden … Trauer muss sich nicht verstecken. Man hält einem Trauernden keine politischen Vorträge. Man hört ihm zu und hält ihm die Hand.

28./31. Okt. 2023

Zitat II

Dresden 13. Februar 1945. Ein satanischer Akt

 „So erfuhren wir spät, nach und nach, die Tragödien von Würzburg, Hildesheim, Potsdam, Freiburg und Köln. Am meisten aber zehrte der Gram um die Stadt Dresden an uns. Den Untergang der Stadt schien sich der Satan als / etwas Besonderes bis zum Schlusse aufgehoben zu haben. Niemals vielleicht, solang die Erde bestand, wurden so viele Menschen in einer Stunde zu Tode gequält, niemals so eine Summe von Schönheit in einer Stunde zerstört“ (S. 85/86).

„Diese Stadt, dies geliebte Stück Welt, allen zur Freude geboren: sie ist jetzt ganz fremd. Was noch steht, sieht ganz anders aus: ganz und gar fremd. Die Galerie ist geraubt, aus unserem Herzen gerissen, das Grüne Gewölbe verschleppt, die Antiken, die früheste Sammlung nördlich der Alpen, ganz aus Winckelmanns Geist, sind dahin. Die Porzellansammlung, die größte und glänzendeste auf der Welt, ist zu kläglichen Scherben zertrümmert. Die schönste Oper verbrannt, der Zwinger zu großen Teilen in Schutt. Unsere geliebte Bibliothek, das ganze Japanische Palais, ist in Trümmern. Fünfzehn von den Unseren sind tot.“*

* Aus dem Brief einer gelehrten Dame, vgl. Erhart Kästner, a. a. O., S. 86–87, hier: S. 87.

Blick vom Gebirge auf das brennende Meer

„Am 13. Februar stand ich auf dem Gebirg und starrte hinab auf das brennende Meer, den Untergang Dresdens. Es war wie eine riesige glühende Kugel. Unser geliebtes Dresden. Und ich wußte Eltern, Geschwister und Freunde dort. Wir standen und starrten hinab und hielten uns an den Händen, lauter fremde Menschen. Ich glaubte, ich müsse vergehen …“

Aus dem Brief einer Hochschwangeren, die wenige Tage später, am 19. Februar 1945, ihren Sohn zur Welt brachte: „Ein Leben in meinen Armen, gesandt in diesen Vernichtungstagen“ –

vgl. Erhart Kästner, a. a. O., S. 87/88; auf S. 89 ist Sebnitz erwähnt als Zufluchtsort. Von Sebnitz bis zum Stadtrand von Dresden sind es knapp 40 km. Angekohltes Papier wurde nach dem Angriff bis nach Sebnitz geweht …   

24./28.  Okt. 2023

Argumente?

Man kann noch so viele Argumente beibringen, kein Argument, kein einziges kann diese Untat, den tausendfachen Mord an Zivilisten, die im Feuersturm, in der Feuerkugel zugrunde gingen, rechtfertigen. Keines. Ich sehe im Angriff auf Dresden ein kapitales Kriegsverbrechen, ein ungesühntes. Gleiches gilt für den Atomschlag gegen Hiroshima und Nagasaki. Wer hat dafür von alliierter Seite je  offiziell um Vergebung gebeten?

Es waren hochfaschistische Akte, und solches Handeln ist mit dem Hinweis auf den Faschismus des Gegners weder gerechtfertigt noch aus der Welt geschafft.

Wenn nur die Erinnerung an die deutsche Barbarei gepflegt und medial im Bewusstsein gehalten wird, bleibt die Menschheit als Ganze ewig stecken in uneingestandener, ungesühnter Schuld. In der Deutung von Geschichte geht es nicht um Rechtfertigung, sondern schlicht um Wahrheit.

Und dies gilt für beide Seiten, die Sieger und die Besiegten: Durch das Aufrechnen der Schuld des anderen wird die eigene Verfehlung nicht kleiner. Keiner wird sich einst vor Gottes Thron damit herausreden können: „Die anderen haben ja auch …“ 

Kommt ein Wanderer des Wegs und weist mich zurecht: das Wort Faschismus sei nur für den deutschen (den spanischen, den italienischen) Faschismus zu gebrauchen. – Nein. Reinhard Lettau hat im Blick auf die US-Wirklichkeit schon vor fünfzig Jahren vom täglichen Faschismus* gesprochen, eine Über-tragung des Begriffs ist demnach durchaus erlaubt. Auch die Frage, wo wir heute, in der unmittelbaren Gegenwart, faschistoid handeln.

Ob moderne Kriegstreiberei, Abtreibung oder das Basteln am menschlichen Genom – da sind viele Bereiche, wo der moderne Mensch in seiner Anmaßung deutlich eine Grenze überschritten hat, ins Satanische hinein.

* Reinhard Lettau: Täglicher Faschismus: Amerikanische Evidenz aus 6 Monaten, Leipzig: Reclam, 1973.

24./28. Okt. 2023

Gert Zenker: 77 Jahre nach Nürnberg (1946/2023)

Im 21. Jahrhundert

Mitte Oktober 2023 bin ich mit meinem 15jährigen Sohn per Fahrrad unterwegs gewesen von Pfedelbach (bei Heilbronn) über Nürnberg, Beyreuth, Goldkronach bis Markneukirchen im Vogtland, habe bei dieser Gelegenheit auch das so ge-nannte Memorium, die Gedächtnisstätte des Nürnberger Tribunals besucht. An der Kasse konnte der Eintritt nur mit EC-Karte bezahlt werden, was mich verwunderte. Die Begründung, die mir zu Ohren kam, war diese: „Wir leben im 21. Jahrhundert!“ – Was immer dies bedeuten mag … Fortschritt im Humanen wohl kaum.

Nürnberg 20. Nov. 1945 – 01. Okt. 1946

Woher nur diese Beklommenheit, die mich im Nürnberger Memorium befiel, dieses Gefühl von Ungeklärtem? – Zum einen liegt es an der Realität des offentlich Bösen, wie es in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts mit großem Vernichtungswillen zutage getreten ist, zum anderen an diesem  halbherzigen, selbstvergessenen Urteil über das Böse, diesem Stehenbleiben auf halbem Wege. Wie soll ein einfacher Mensch heute, 77 Jahre später, diese Geschichte verstehen, die uns im Memorium Nürnberg erzählt wird? – Der folgende Text ist der Versuch, vom schlichten, naiven Empfinden  des Christenmenschen her eine Schneise zu schlagen, einen Weg durch das Dickicht zu finden, zu einer Lichtung, die vielleicht (diese Hoffnung kann täuschen) ein wenig Klarheit und Wahrhaftigkeit bringt.

Offen die Frage, warum wir uns immer noch – und so strittig – mit solcher Thematik befassen. Vielleicht weil die Aufarbeitung der Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht wirklich erfolgt ist, offene Wunden das Bild bestimmen. Und den Arzt des Lebens (Mk 2,17) weisen wir ab …Wir haben das 20. Junderhundert nicht wirklich begriffen und sind unversehens in das 21. Jahrhundert gefallen, das wir – so nahe dran – wiederum nicht begreifen. Was wir von Geschichte als Nachricht empfangen, ist auf weite Strecken  nur die Interpretation von Geschichte, und die hat oft nicht einmal Wahrheits-ähnlichkeit … Das wäre auf den verschiedensten Gebieten zu beweisen.

Urteile im Raum 600

Angeklagt waren 1945/46 in der zu 90% zerstörten „Stadt der Reichsparteitage“ exemplarisch 24 Vertreter des Dritten Reiches (de facto waren nur 21 Ange-klagte anwesend).  

Zwölf wurden zum Tode durch den Strang verurteilt, unter ihnen, in Abwesenheit,  Martin Bormann – und Hermann Göring, der sich dem Urteil durch Selbstmord entzog. Drei der Angeklagten bekamen lebenslang (u. a. Rudolf Heß), vier wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, drei freigesprochen, zwei standen der Anklage nicht mehr zur Verfügung, der eine wegen seines schlechten Gesundheitszustandes, der andere hatte Selbstmord begangen. 

Die Urteile wurden am 01. Okt. 1946 verkündet, die Todesurteile am 16. Okt. 1946 vollstreckt – mit etlichen Pannen bei der Hinrichtung (die Falltür zu klein, die Fallhöhe zu gering).* 

* Vgl. den Beitrag von Ernst Piper in Spiegel Panorama v. 16. 01. 2007. Quelle: https://www.spiegel.de/panorama/zeitgeschichte/nuernberger-prozesse-der-tod-durch-den-strick-dauerte-15-minuten-a-459977.html

Göring und das Gros der Verteidiger sprachen dem Tribunal die Zuständigkeit ab, was den Lauf des Prozesses nicht hinderte. Der Saal 600 (ca. 260 qm) bot für den geplanten Prozess nicht ausreichend Raum und wurde deshalb durch umfangreiche Umbauarbeiten erweitert, u. a. wurden mittels eines Mauer-durchbruchs eine Pressetribüne und ein Zuschauerbalkon geschaffen. Hinzu kam Medien-, Licht- und Klimatechnik.

Der Gerichtssaal war eigens für diesen Prozess, den man viersprachig führte, neu ausgebaut worden, mit nüchternen Anklagebänken, mit Plätzen für die Richter, die Übersetzer, die Journalisten. 1961, nach Übergabe an die Nürnberger Justiz, wurde der Saal teilweise wieder zurückgebaut.

Ein Schelm, wem hier das Wort Schauprozess in den Sinn kommt.

Siegerjustiz?

Churchill hatte sich im vertrauten Kreise mit dem Gedanken getragen, bis zu hundert deutsche Hauptkriegsverbrecher für gesetzlos zu erklären und mit ihnen kurzen Prozess zu machen, d. h. sie hinrichten zu lassen. Stalin, dieser Folterknecht und Massenmörder im eigenen Lande, hatte 1943 auf der Konferenz zu Teheran vorgeschlagen, nach Kriegsende 50.000 bis 100.000 deutsche Offiziere einfach zu erschießen.*

* Informationen aus einem von Sven Felix Kellerhoff, dem leitenden Redakteur Geschichte bei „Welt“ am 26. März 2021 veröffentlichten Beitrag: Dieses Militärgericht wurde zum Wendepunkt der Militärgeschichte. Quelle:  https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article229189573/Nuernberger-Prozess-Siegerjustiz-Nichts-weniger-als-das.html

Das Nürnberger Tribunal: ein Schauprozess mit dem Ziel der Aufklärung der Weltöffentlichkeit? Siegerjustiz?  Im formalen Sinne ja, aber nicht in der nega-tiven Bedeutung des Wortes, meint ein Geschichtsjournalist:

„So war der Nürnberger Prozess, wenngleich in einem rein formalen Sinne natürlich Siegerjustiz, doch in Wirklichkeit genau das Gegenteil dessen, was mit diesem Wort gewöhnlich ausgedrückt wird: Es handelte sich um ein faires und tatsächlich rechtsstaatliches Verfahren, das gerechte Urteile sprach.“ – Vom selben Autor lesen wird: „Alle Angeklagten bekamen volle Rechte und selbst gewählte Verteidiger; sie wurden nicht misshandelt und nicht zu Aussagen gezwungen.“*                                         Sven Felix Kellerhoff, a. a. O.

Also ganz im Sinne der Gerechtigkeit und Wahrheit? Eben dies wird von anderen namhaften Autoren kritisch beurteilt. Und solche Kritik (ich nenne hier bewusst keine Namen) sollte man hören, ohne gleich mit dem Vorwurf des „Geschichtsrevisionismus“ zu argumentieren, wie wikipedia dies tut.

Es geht ein Gerücht, Deutschland habe sich nach der bedingungslosen Kapitulation 1945 verpflichten müssen, in der Geschichtsinterpretation auf 100 Jahre der Sichtweise der Siegermächte zu folgen. – Ich muss gestehen: alles, was ich in den Hauptmedien lese, macht genau diesen Eindruck. Freilich gibt es am Rande auch andere Stimmen. Aber das Bewusstsein der Masse wird nicht von Monografien und alternativen Zeitschriften, sondern von dem geprägt, was die Hauptmedien unablässig wiederholen.

Drei Anklagepunkt und ein vierter

In Nürnberg wurden im Wesentlichen drei Hauptanklagepunkte benannt:

1. Verbrechen gegen den Frieden (die Führung von Angriffskriegen)

2. Kriegsverbrechen (Gewalt gegen Zivilisten)

3. Verbrechen gegen die Menschlichkeit/die Menschheit („Crimes against humanity“)

Dies sind nun, was von Juristen kritisch angemerkt wird, keine fest umrissenen juristischen Begriffe. Aber als Richtlinien humanitären Denkens und Han-delns sind sie durchaus anwendbar und sollten auch heute Anwendung finden. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Vielzahl illegaler Kriege, die von den USA nach 1945 geführt wurden.*

* Vgl. Daniele Ganser: Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien, Zürich: Orell Füssli, 2019, 10. Aufl.

Als vierter Punkt kam in Nürnberg die Anklage wegen Verschwörung hinzu. Demnach gibt es Verschwörung, geheime Absprachen in der Politik, es gab sie und gibt sie bis heute. Daran ist kein Zweifel. Die Frage ist nur, ob eine „Verschwörungstheorie“ in einem konkreten Falle (z. B. in Bezug auf die Corona-Krise und die Impfideologie 2020/22) zutrifft oder nicht. Darüber kann man verschiedener „Meinung“ sein. Am Faktum ändert das nichts.

Der einfache deutsche Bürger befindet sich heute wie ehedem in einer fatalen Situation, wenn er sich durch regelmäßigen Nachrichtenkonsum der täglich Deutungsvariante der Hauptmedien ausliefert und solche Bewusst-seinsprägung dann für seine eigene Meinung hält, noch stolz darauf ist.  Meinungsfreiheit wäre weitgehende Freiheit von solcher Prägung. Eigen-ständiges  Denken.

In den Ausstellungsräumen des Nürnberger Memoriums findet sich auch eine Tafel, die darüber informiert, was bei dem Prozess nicht akzeptiert wurde: u. a. der Hinweis auf Verfehlungen der Alliierten und eine Prozessverschiebung zur Beibringung von Beweisen. – Mitunter kann man aus dem, was nicht zugelassen oder als nicht zutreffend zurückgewiesen wird, einiges lernen. Es bringt einen zumindest auf die Spur. Zwischen den Zeilen zu lesen ist heute mehr denn je gefragt …

Fragen an Nürnberg 1945/46

Die Frage, ob ein schlechter Friedensvertrag (Verdun) einen Angriffskrieg rechtfertigt – wohl grundsätzlich nicht! –, lassen wir hier beiseite. Darüber wurde in Nürnberg ausführlich diskutiert. Auch steht es mir als juristischem Laien nicht zu, die Frage zu entscheiden, ob als ein solches Tribunal der Sieger über die Besiegten wie in Nürnberg überhaupt rechtmäßig war.

Dass Verbrecher juristisch verfolgt und bestraft werden müssen, und zwar ohne Ansehen der Person, ihres Standes, ihrer Staatszugehörigkeit, auch unabhängig davon, ob Sie sich auf der Sieger- oder der Verliererseite befinden (!), steht außer Frage.

Greifen wir nur diesen einen Punkt heraus: Kritisiert wird in der Literatur zum Thema immer wieder, und dies mit Recht, die kollektive Verurteilung, eben nicht nur der Verführerclique, sondern eines ganzen Volkes. Da galt jeder deutsche Soldat als Kriegsverbrecher. Der deutsche Widerstand wurde kaum beachtet. Und eben das konnte so nicht stehenbleiben. Diese Sichtweise der Allverurteilung – mit dem Extrem: jeder Deutsche ein kleiner Hitler – hatte weitreichende Folgen. Zwar ist der Morgenthau-Plan am Ende nicht umgesetzt worden, oder nur zum Teil, sein Ungeist aber blieb lebendig und hatte böse Auswirkungen.

„Für Henry Morgenthau waren die Deutschen das, was die Juden für die Natio-nalsozialisten waren: die Inkarnation des Bösen in der Politik. Durch Gebiets-abtretung, staatliche Zerstückelung und Rückverwandlung Deutschlands in einen Agrarstaat sollte der internationale Friedensstörer Deutschland auf immer der Mittel zum Kriegführen beraubt werden. Den Hungertod vieler Millionen Deutscher wollte Morgenthau in Kauf nehmen“ (Gebhard Diemer 1979).*

* Zitiert bei: https://de.wikipedia.org/wiki/Morgenthau-Plan. Wikipedia dementiert diesen Satz, spielt ihn zur bloßen Behauptung runter, dichtet dem Henry Morgenthau gar roman-tische Vorstellungen agrarischer Verhältnisse an. – Morgentau fällt kalt auf ödes Land …

Die bequeme These von der deutschen Alleinschuld am Ersten und Zweiten Weltkrieg haben Historiker längst widerlegt, im öffentlichen Bewusstsein dominiert sie, vermittelt durch die Medien, noch immer unser Geschichtsbild.     

Geschichtsverarbeitung?

Wenn wir wirklich Geschichtsverarbeitung wollen, dann gehören (u. a.) auch diese Schattenseiten des 20. Jahrhunderts mit hinzu:

die Bombardierung und weitgehende Zerstörung von 160 deutschen Städten und 850 Gemeinden,

die Art und Weise der Vertreibung (es geht die Fama, dass zwei Millionen überhaupt nicht in Deutschland angekommen sind),

die Opfer der Rheinwiesenlager,

die Opfer unter den Gefangen, die 1945 bis Anfang der 50er Jahre unter Verletzung der Genfer Konvention in Lagern fern der Heimat festgehalten wurden und Zwangsarbeit leisten mussten,

die massenhafte Schändung deutscher Frauen nach der Kapitulation,

die Hintergründe des Hungerjahres 1947 und die Offenlegung von Vernichtungsplänen gegen Deutschland,

die KZs nach dem Kriege, die Opfer der sowjetischen NKWD-Lager (Buchenwald, Sachsenhausen, Mühlberg an der Elbe, Bautzen etc.).

Wohlbemerkt (ich darf mich wiederholen): es geht nicht darum, etwas aufzurechnen oder gar zu rechtfertigen, nicht um den pietätlosen Streit über Opferzahlen, wie er z. B. in Dresden immer noch geführt wird.

Es ist nun an der Zeit, dass die Öffentlichkeit über jeden der hier genannten Punkte konkret, ausgewogen und ohne politischen Vorbehalt unterrichtet wird. Dabei mag jeder Schmerzenspunkt für sich stehen vor einem höheren Tribunal, vor dem es – in konsequenter Anwendung des o. g. Nürnberg-Prinzips – nicht erlaubt sein soll, den Informationsprozess zu verschleppen oder sich mit den Gräueln der Gegenseite zu rechtfertigen. Was geschehen ist, darüber berichte man mit nüchternen Worten und Zahlen, frei von irgend-welcher Ideologie – und überlasse das letzte Urteil einem Höheren.

24./31. Okt. 2023

Gert Zenker: Welträtsel mit Fortsetzung

Da war ein Großer Verbrecher, der viele Menschen aus der eigenen und aus vielen anderen Familien auf dem Gewissen hatte. Nein: ein Gewissen hatte er nicht. So wenig wie die drei anderen Verbrecher, die den Großen bekämpften und schließlich besiegten.

Der Erste, Stahlharte, hatte zu Hause seine halbe Familie umgebracht, der Nachfolger des Zweiten kurz nach dem Sieg zwei große Feuer geworfen, in dem zwei Panische Häuser samt Menschen in Flammen aufgingen. Ein Dritter hatte in Allianz mit dem Zweiten aus der Luft viele Häuser angezündet, so dass Kinder darin verbrannten, deren Schuld einzig darin bestand, dass sie im Lande des Großen Verbrechers lebten.   

Der Große, das heißt: der besiegte Verbrecher brachte sich um, nun saßen die drei Anderen zu Gericht über die Befreiten Menschen aus seinem Hause.

Was wird wohl herauskommen bei solcher Verhandlung, wo große Verbrecher über ein Großes Verbrechen richten? Ein geteiltes Haus, dazwischen keine Türen. Das war noch das Geringste —

Und sie lächeln: der Erste ganz väterlich unter seinem Schnurrbart aus Stahl, der Zweite, eine Treumann-Blume aus der Rosenwelt, der Dritte ein wenig kirchen-krank.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lächeln sie noch heute. Der globalen  Weltordnung entgegen, wo jeder von ihnen gern der

Eine Herrscher gewesen wäre.

2006/2020

Die Aufteilung Europas wurde von den Großmächten im Februar 1945 in Yalta beschlossen, das war der Beginn der Globalisierung. Der französische Regisseur Carrière schrieb hierzu: „Dass Roosevelt, selbst schon an der Quelle des Todes [même agonisant], und Churchill sich wie Räuberhauptleute [comme des chefs de brigands] des Mittelalters aufführten und von Stalin betrunken machen ließen, wie man erzählt, das kann uns heute noch überraschen und uns wachsam halten“ (Jean-Claude Carrière: Les années d’utopie 1968 – 1969, Paris: Plon, 2003, S. 90; Übers. G. Z.).  

Zitat III

Konsalik: Bilder vom Untergang der 6. Armee

Im folgenden eine andere Kriegsberichterstattung als die seichte, politisierende, menschen-fremde, die Realität des Geschehens verschleiernde Berichterstattung unserer Medien über den Ukrainekrieg.

„Man stirbt nicht mit einem Hurra auf den Lippen, sondern mit einem Schrei, einem Wimmern und Stöhnen, einem Brüllen vor Schmerzen und einer Verzweiflung, die unbeschreiblich ist. (…) die Angst packt einen, der Körper ist zerfetzt und blutet aus, man kriecht über die Erde und brüllt »Sanitäter! Sani-täääter!«; und dann liegt man da, von Schmerzen zerrissen, und keiner hilft einem, die Erde bebt unter den Granateinschlägen, die Panzer rollen auf einen zu, man sieht sie kommen, man möchte wegkriechen, aber es geht ja nicht, man ist ja nur noch ein Klumpen blutigen Fleisches, und die Ketten kommen näher, immer näher, man sieht den Tod, man weiß, daß man gleich in die Erde gewalzt wird, ein Tod aus 30 Tonnen Stahl, rasselnd wie hunderttausend Kastagnetten … und dann schreit man, schreit und betet und ruft nach der Mutter…und krepiert. Das ist der Heldentod! (…) In Stalingrad wurden 364000 Männer von einem Mann, der Adolf Hitler hieß, kaltblütig in den Tod gejagt, mit vollem Wissen, daß es für diese Männer nie eine Rettung geben wird. Und die Generale ließen es geschehen, im Führerhauptquartier, im OKH, in der Heeresgruppe Don und in Stalingrad selbst, wo ein Generalfeldmarschall Paulus solange zögerte und an seinen »Führer« glaubte, bis seine Armee in den Kellern und Löchern buchstäblich verfault, verhungert und ausgeblutet war. Ist das nicht Wahnsinn?“*

* Konsalik: Bilder vom Untergang der 6. Armee, Wilhelm Goldmann Verlag 1983, 5. Aufl. Zitiert bei https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_G._Konsalik.

29. Okt. 2023

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